Referenzpunkt Gott

Referenzpunkt Gott

Referenzpunkt Gott

1 Brüche im Gottesbild

Religionen – und hier die katholische Kirche – bieten einen Referenzpunkt für eine gelingende Lebensgestaltung an und haben dafür einen Begriff bereit: Gott. Ich bin in diesen Gott und in seine von der Kirche definierten Gestalt über meine Familie hineingeboren, hineingetauft, hineingewachsen. Dieser Gott hat mein Leben fast zerstört. Um Haaresbreite bin ich am Tod durch diesen Gott vorbeigegangen. Ich habe diesen Gott bereits verschiedentlich beschrieben.

Die Kirche, ihre Theologie und ihre Pastoral stellen heute einen geläuterten Gott in den Vordergrund, aber im Hintergrund, in ihren Basisdokumenten und ihren Ritualen verpackt ist der alte Gott lebendig, wenn gebraucht sofort auf Lager, und weiterhin äußerst wirksam.

Spät in meinem Leben, nach meinem Gottesscheitern (anfangs fast ich an seinen Bildern und dann seine Bilder an mir) habe ich mir viele Fragen vorgelegt und mit großem Ernst bearbeitet: Wie war dieser mir einst angebotene Referenzpunkt Gott angelegt? Mit welchen Vorstellungen, mit welchen Bildern war er gefüllt? Noch später stand ich als Seelsorger und Therapeut vor zahllosen Erfahrungen, wie es Menschen ging bzw. wo vielfach Menschen landeten, wenn ihnen dieser Referenzpunkt, wie ihn die christliche Tradition sieht und anbietet, in seinem ganzen Umfang, mit seiner Gewalttätigkeit, seinem Schrecken und seiner Scheinheiligkeit, in seiner Ausdrucksstärke und dann auch noch mit gezielter Schwerpunktsetzung nahegebracht wurde.

Bruchlandungen von Gottgläubigen füllen Biographien, Bücher, Filme. Mein bereits 1995 erschienenes Buch „Gottestherapie“ beschäftigt sich intensiv und hochaktuell mit dem Thema „kranker Gott“ (d.h. ein Gott, der Angst macht, ein Gott, der zwiespältig ist, ein Gott, der braucht, verbraucht, missbraucht usw.), bietet aber auch Wege der Distanzierung und der Heilung von diversen religiösen bzw. ekklesiogenen Beschädigungen an und müht sich um einen brauchbaren dem Menschen dienenden Gott.

Mittlerweile findet, wenn auch noch sehr sparsam, bereits ein ernsthaftes Bemühen um eine gewisse Flurbereinigung in der Gotteslandschaft statt. Aber dann wird leicht wahrnehmbar oft auch nur so gespielt und kokettiert mit dicken Überschriften wie „Gott ist Liebe, Wahrheit, Schönheit, Dynamik, Ruhe usw.“. Recht und gut! Aber was ärgerlicherweise bei diesen hier genannten und weiteren Notierungen nicht zum Vorschein kommt, ist die klare Absetzung von den ungezählten Peinlichkeiten in der vorhandenen Gottesrede. Dazu führe ich drei Beispiele an:

2 Wer A sagt, muss auch B sagen

Frère Roger, erster Prior von Taizé: Ganz persönlich und hautnah erzählt Klaus Hamburger, der in Taizé jahrelang als Frère Wolfgang lebte, in seinem Buch „Danke, Frère Roger“ Eindrucksvolles über seinen weltweit hochgeachteten Mitbruder. Ein Satz aus dem genannten Buch hat mich besonders angesprochen: „Er (Frère Roger) verbannte aus seinem Leben jede zweischneidige Rede über Gott.“ Wie befreiend klingt dieser Satz! Großartig! Was mir aber bei einem zweiten Blick auf Frère Roger und diesen Satz missfällt: Im Weiteren kein Wort, keine Inhaltsangabe der von ihm angesprochenen und verbannten Gottesreden!

Eugen Biser, katholischer Theologe und Religionsphilosoph: Ähnliches wie bei Frère Roger habe ich auch bei Professor Eugen Biser anzumerken, bei diesem großen Trompeter für einen liebenden Gott. Aber auch hier kein offenes und in die Welt gesandtes Wort gegen die unzähligen Verleumdungen seines von ihm gepredigten Gottesbildes in vielen heiligen Texten und in der Liturgie – um ja – erfahrungsgestützt! – seinem Renommee in Kirche und in einer gewissen Öffentlichkeit nicht zu schaden.

Juliane Eckstein, Alttestamentlerin und Mitarbeiterin beim „Synodalen Weg“ der deutschen katholischen Kirche: Die Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ hat kürzlich zur Kenntnis gebracht, wie diese kirchliche Fachfrau die Frage nach dem drängendsten theologischen Problem der Gegenwart beantwortet. Für mich zunächst völlig überraschend und höchst erfreulich war ihre Äußerung: „Auf nicht peinliche Weise über Gott sprechen!“ Dieser Aussage folgt jedoch umgehend meine innere Reaktion: Peinlich bleibt nur, dass Frau Eckstein das Peinliche nicht einmal in Auszügen anspricht, etwa das noch interpretierbare rätselhafte Opfer des Abraham, was seinen Sohn Isaak betrifft – dass sie aber vor allem den Skandal verschweigt, dass Gott seinen eigenen Sohn wie ein Lamm am Kreuz für uns opfert. Konkrete Füllungen bleiben unter dem Tisch. Man muss nicht allzu viel Feingefühl haben, um die Peinlichkeit zu spüren, wie ein Gott mit einer oben genannten inhaltlichen Füllung auf einen wachen, klaren Geist wirkt, von der Wirkung auf eine gesunde Seele ganz zu schweigen.

3 Verantwortet B sagen

Moderne Wissenschaften, auch die wissenschaftliche Theologie, können und müssen heute den in meinen Augen so zentralen, wichtigen und lebensnot- wendigen Referenzpunkt Gott nach Logik, Schlüssigkeit, Ethik, Würde, Nachhaltigkeit, Wirkung usw. befragen. Und am besten dazu auch die Aufstellungsarbeit einsetzen, eine Methode der Systemischen Psychologie. Diese lässt die verschiedensten Gottesbilder sprechen, lässt deren Tiefe bzw. deren Untiefen sie selbst mitteilen und bewerten, lässt sie leuchten oder erblassen. Beide Methoden, die mentale und die konstellare sind heute unersetzbarer Prüfstand für Qualität und Gültigkeit von geistigen und geistlichen Produkten.   

Ich verdeutliche dies ohne weitere fachliche Angaben an drei Beispielen aus der Aufstellungsarbeit mit Gottesbildern und -texten.

Beispiel 1: In der Begriffsaufstellung „Gott“ in Genesis 1,1-2a lässt man diesen Gott selber sprechen, sich selber bewerten, sich im Kontext erleben.                

Der Repräsentant der Figur Gott stellt sich so dar: Er sei zunächst groß. Er komme sich auch größer vor als all das „um ihn herum“. Es herrsche aber ein gutes Klima zwischen ihm und dem ganzen „Herum“. Er sei darüber sogar ein bisschen stolz. Er wolle auch mit den Figuren um ihn und mit allem Kontakt haben, er wolle alles spüren, alles sehen, überall dran sein – aber nicht kontrollieren. Er wolle mit den Augen auf alles schauen, wolle gut auf alles schauen, alles bewundern, sich freuen und noch einmal: Nicht kontrollieren.

Beispiel 2: In einer anderen Aufstellung begegne ich als Kind einem Gottestext, wie er mir in Genesis 3,1-24 einst zur Verfügung stand.

Der Text hat mich von Anfang an im Blick. Er äußert, er spinne überall seine Fäden, er habe ein Spinnennetz ausgelegt und der ganze Raum sei voll von Netzfäden. Er richtet nach dieser Erklärung erneut seinen Blick, auf mich, nimmt wahr und stellt fest, dass ich außerhalb des Fadennetzes stünde und dass auch noch ein Stuhl zwischen mir und ihm sei. Er erklärt später, er sei dann – wie von ihm geplant – „hinterhältig“ vorgegangen. Zunächst habe er vorgehabt, seine Hände nach mir auszustrecken, mich mit den Worten „Komm her“ einzuladen und mich so einfach einzufangen. Er habe gedacht, ich sei eine leichte Beute, er kriege mich schon, weil ich immer wie fixiert auf ihn geschaut hätte. Doch als er näher an mich herangekommen sei und nach mir gegriffen habe, hätte ich Angst bekommen und sei zurückgewichen (Anmerkung: Was auch bei mir so war!).

Der Text erzählt dann weiter, er habe daraufhin seine Taktik gewechselt und, weil ich meinen Blick nicht von ihm abwandte und immer noch auf ihn fixiert war, seine Methode abgeändert. Und diese sah so aus: Mit seinen Händen inszenierte er eine Geste der Offenheit und Einladung und lockte mich mit seinem Finger. Er dachte, ich würde schon kommen, denn ich wäre noch immer wie hypnotisiert dagestanden. Ich selbst begann dann auch, vorsichtig und zaghaft näher zu treten und den lockenden Finger des Textes zu berühren. In diesem Moment schnappte die Falle zu. Der Zugriff des Textes war heftig. Mit beiden Händen hielt mich Genesis 3,1-24, hielt mich der Text in Person fest. Ich war gefangen und der Text war hochzufrieden. (Anmerkung nebenbei: So begann eine Berufungsgeschichte!)

Beispiel 3: betriff eine Aufstellung der Interaktionen von vier Figuren in Genesis 22, 1-19. Es handelt sich um den Gott Jahwe, um Abraham, Isaak und Sara. 

Sara, klar als Sara bestimmt, steht in einer verdeckten Aufstellung drei Personen gegenüber, deren Identität sie nicht kennt. Die Person, die Gott repräsentiert, die für Gott steht, interessiert sich sofort für Sara, fixiert sie, geh auf die zu und verfolgt sie. Sara sieht weder Abraham noch Isaak, sie sieht nur den ihr unbekannten und sie verfolgenden Gott. Sie läuft zunächst vor ihm davon, fasst sich dann aber schnell und geht mit großer Kraft und einer unbändigen Wut wie eine Hyäne auf den unbekannten Verfolger zu, treibt ihn aus dem Feld hinaus, geht ihm an die Gurgel und schreit ihn an: „Dich bring ich um!“

4 Schlussfolgerungen

Fazit 1: Eine Selbstbegegnung eines Gottesbildes, eine Begegnung eines Gottestextes mit mir als „Hörer des Wortes“ und eine innertextliche Begegnung eines merkwürdigen Gottesbildes mit einer Textfigur haben hier, wie dargestellt, einen unverblümten Einblick in Qualität, Klarheit und Unbestechlichkeit von Text- bzw. Bild- oder Begriffsaufstellungen gegeben. Texte, Sätze, Begriffe, Bilder müssen sich heute unbedingt dieser Herausforderung durch Aufstellungen stellen. Gewinner sind der Glaube, aber auch das Renommee der Kirche und ihrer Theologie

Fazit 2: An diesen drei Beispielen dürfte genügend deutlich geworden sein, zu welchem Gott hin ich ausschließlich tendiere und mit welchem Gott ich gebrochen habe: Mit einem Gott, an dem ich beinahe zerbrochen bin, mit einem Gott, der letzten Endes normale menschliche Beziehungen verhindert hat, mit einem Gott, der Bindungen arg beschädigt hat. Mit einem Gott, der aber auch verloren hat. Mein Gottesbild ist in meinem Aufsatz „Referenzpunkt Jesus“ beschrieben und schließt diesen Beitrag ab.

Fazit 3: Diesen hier vorgelegten Aufsatz sehe ich als einen von vielen Bausteinen für meine These: Das auch im Christentum dominierende Gottesbild der hebräischen Bibel ist gewalttätig, schrecklich und bedrohlich – und es ist scheinheilig, ambivalent, „hinterfotzig“, mal so und mal so. Es macht Menschen verrückt und gewalttätig. Beides wird eklatant deutlich am Beispiel Abrahams in Gen 22,1-23, und vielleicht noch deutlicher am Beispiel des Richters Jiftach in Ri 11,29-40. Die Wucht des vielfach grotesken Gottes-Kuddel-Muddel hat im Nachhinein auch Jesus ergriffen und hat es vielfach erreicht. ihn in die gängige „Logik“ einzubinden.

5 Mein Gottesbild heute

Mein heutiges Gottesbild ist aus dem Gottesverständnis und der Gottesnähe Jesu erwachsen. Im Aufsatz „Referenzpunkt Jesus“ habe ich es so zusammengefasst.

Jesus steht für einen Menschen, der in einer besonderen Gottesbeziehung lebt, die sich im Wort „Abba“ zusammenfassen lässt. „Abba“ – ein emotional hochgeladenes Bild, das Nähe bezeugt und vermittelt.

Jesus hat sich diesen Gott von Anfang an „zu Herzen genommen“, wie der Theologe Peter Trummer so treffend schrieb. Und nur diesen Gott!

Er wird auch später ein inniges Beziehungsverhältnis leben, barrierefrei.

Er weiß, dass er Gott gefällt, dass er Gottes Placet hat und sich der Zufriedenheit Gottes sicher sein kann.

Für seine Sendung braucht er keine Befehle. Wer Gott sich „zu Herzen“ nimmt, weiß, was zu tun ist. Es gibt keinen göttlichen Auftrag zum Heldentum und auch keinen zum Opfer bzw. zur Entkernung seiner Persönlichkeit „Gott zuliebe“!

Jesus steht für einen einfachen Gott, für einen guten, einen brauchbaren Gott.

Er steht für ungewöhnliche Sichtweisen auf Gott, so auch auf einen, der die Sonne aufgehen lässt über Bösen und Guten und der regnen lässt über Gerechte und Ungerechte.

Er steht für einen Gott, zu dem nicht nur er, sondern auch wir Vater sagen dürfen, und zwar alle Menschen ohne Ausnahme.

Und letztlich steht er für einen Gott, der Heimat gibt, ewige Heimat.

Diese hier aufgezeigten Wahrnehmungen sind Bausteine für meine These: Jesus hebt sich radikal ab vom Gottesbild Israels. Dieses ist gewaltgesättigt und bedrohlich. Und es ist scheinheilig und ambivalent. Es macht Menschen verrückt und gewalttätig (Abraham, Jiftach als Täter, Jesus als theologisches Opfer). Mit diesem Gott trüber Geschichten hatte Jesus nichts am Hut. Er hebt sich so deutlich ab von der früher wie heute vorliegenden ideologischen Gemengelage in Bezug auf Gott, er hebt sich auch ab von dem, was zu seiner Zeit mit den Begriffen „Reich Gottes“ oder „Königsherrschaft Gottes“ herumschwirrte. So bringt Jesus auch einen Gott in Verlegenheit, der durch umlaufende Gottesgeschichten und ihre Erzähler in seinem Beliebtheitsgrad in unserer Zeit in arge Not geraten ist. Für mich wollte Jesus Gott auch vor der Tradition und ihren wirren Gottesphantasien retten. Welches Bild: Jesus – die Rettung Gottes!

Zusammengefasst steht für mich fest: Jesus, so wie er war, stellt Gott ein gutes Zeugnis aus. Allein das ist bezaubernd! Jedoch, so wie er wurde, durch den Zugriff der Theologen verblasste dieses klare Zeugnis, wurde vom „Alten“ durchkreuzt und hintertrieben. Und das ist eine Katastrophe.

6 Fachliteratur zum Thema

Bücher von Franz Ruppert, Varga von Kibéd/Insa Sparrer, Georg Müller-Christ

Lorenz Zellner, Ehrlich muss man sein, Berlin 2022

22.04.2023 LZ                                                                                                                

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