Leseprobe

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Epilog: Der Basso Continuo dieses Buches

Der Basso Continuo, das durchgehende harmonische Gerüst dieses Buches ist die Existenz eines Versprechens, das ein Konzil der katholischen Kirche vor 50 Jahren der Welt gegeben hat. Ich kann die Worte dieses Versprechens und eine maß­gebliche Kommentierung nicht oft genug wiederholen. Der genaue Text lautet: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängen aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände“ (1). Der beste Kommentar zu diesem konzi­liaren Bekenntnis – ich wiederhole mich erneut – stammt vom tschechischen Theo­logen Tomás Halík, der in einem Interview zum Ausdruck brachte: „Diese Worte klingen fast wie ein Ehegelöbnis“ (2). Mit vielen glaubenden Menschen halte ich an der Hoffnung fest, dass sich das Konzil hier keinen Versprecher geleistet, son­dern ein Versprechen gegeben hat, das auf Einlösung pocht. Mit dieser Hoffnung im Kopf, im Herzen und in der Hand weise ich noch einmal auf ein Fünffaches hin:

1. Christen glauben, dass Gott vor aller Zeit wie auch immer eine Welt geschaffen bzw. eine Evolution angestoßen hat. Eine Religion bzw. eine religiöse Praxis, die mit Gott rechnet, im wahrsten Sinn des Wortes mit Gott „rechnet“ und Ja zu Gott sagt, muss logischerweise auch Ja zu seiner Schöpfung und zu ihren Ausformun­gen sagen, sie annehmen, erleben, beleben. Die durchschnittliche Theologie jedoch ist mit der Schöpfung immer noch relativ unglücklich und unzufrieden. Dabei sollte sie mit sich selbst und ihrer Leistung unglücklich und unzufrieden sein. Man könnte doch meinen, dass zur Essenz einer Religion, die zu Gott Ja sagt, auch ein uneingeschränktes Ja zu seinem Werk gehört. Ein solches Ja ist heute bedingungs­los einzufordern. Das heißt dann, der Wirklichkeit zuzustimmen, wie sie ist, und sich der erkannten Wirklichkeit zu fügen. Das heißt dann aber auch Verdeutli-chung, was Begriffe wie „neue Schöpfung“ oder „neue Erde“ und was Worte wie „eschatologischer Vorbehalt“ oder „Vorläufigkeit dieser Welt“ meinen, damit Be­griffe nicht zu Übergriffen werden. Es darf für glaubende Christen keinen anderen Ausgangspunkt eines spirituellen Weges mehr geben als ganz einfach den, anzuer­kennen, was ist,  zu erleben, was ist, sowie zu beleben und  zu gestalten, was ist.

2. Uns Christen umschleicht weiterhin das einfordernde Wort „Inkarnation“. Wir kommen davon nicht los! Nicht los von seiner letztendlichen Bedeutung, wo es um nichts anderes geht als sich im Heute zu Jesus von Nazareth in einer glaub­würdigen Art in Beziehung zu setzen und wie er alle Räume des Lebens zu be­treten, auch die, die Jesus selbst nicht betreten hat, weil sie heutige Räume sind, nicht damalige, aber doch auch Räume seines Vaters. Es bedeutet ferner, dorthin zu gehen, wo das Leben pulst, keimt, wächst, reift – und wo es heute so bedroht ist, nämlich in den Paar- und Familienräumen. Dort ist heute einer der gesellschaftlich signifikantesten und neu zu gestaltenden Räume. Dort muss die Kirche „rundum erneuerter“ Marktführer in der Vertretung der Sache dessen sein, der „wusste, was im Menschen war“ und was zum Menschsein gehört. Dort muss Inkarnation mit Mut und Begeisterung geschehen – und bitte keine Inkarnation mit Hängen und Würgen! Man könnte meinen, das zu verstehen, wäre so einfach, so natürlich, so logisch! Ehrlich gesagt, natürlich und logisch ist es schon, einfach nicht immer!

3. Das Volk Gottes auf Erden besteht nicht nur aus Kirchenoberen. Es gibt auch den Glaubenssinn des normalen Kirchenvolkes. Hier herrscht weitgehend Unver­ständnis, warum eine der wichtigsten Veranstaltungen des Lebens in Kleruskreisen nicht stattfindet und stattfinden darf: die tiefe Begegnung von Mann und Frau. Die Mehrzahl der Christen hat keine Einwände gegen die Etablierung der Paarbezie­hung in den Kreisen der Gottes- und Menschendiener. Aufgeschlossene Christen wünschen längst, die Seelsorge sollte näher an die Menschen heranrücken und sich mit den Erfahrungen der heutigen partnerschaftlichen Heils- und Unheilsgeschich­ten bereichern. Eine solche Seelsorge hätte im praktischen Alltag mehr zu sagen und wäre im theoretischen Reden vielleicht wortärmer.

4. Was wäre das für eine Verlebendigung und Gestaltung von „Inkarnation heute“, wenn die besten Leute der Kirche im Paar-Raum zu finden wären, in der ersten Reihe des Lebens, soziologisch gesprochen und auch in der Logik der katholischen Soziallehre an dem Platz, wo der Aufbau des sozialen Ganzen beginnt. Gerade dieser Raum soll mit vorbildhaften Menschen besetzt, gestaltet, „geheiligt“ werden, er soll nicht bloß mit Worten und Begriffen, mit Aufforderungen und Ermahnungen oder einer abgehobenen Sakramentenlehre ausgestattet sein. Es braucht die Besten, die diesen Raum „in allen Formen und Farben“ erleben und beleben, und die vorleben, was sie sagen, die längst verstanden haben, dass die alten religiösen Schriften nicht mehr die einzigen Lieferanten von Erkenntnissen, von Ethik und Lebensanleitung sind, die vielmehr auch dort einkaufen, wo die neuen Exegten der Schöpfung, die Wissenschaftler und Forscher, die Logik der göttlichen Erfindungen studieren und die Lebens- und Beziehungslandschaft ver­antwortlich definieren. Es braucht schließlich die Besten, die erschließen, was das Ehesakrament wirklich bedeutet und die durch ihr Leben zu „Sinn-Bildern“ für ihre Umgebung, besonders für aneinander gebundene Menschen werden. Auch in diesen intimen Raum soll das Niveau Jesu einfließen und Gestalt werden.

5. Zukünftige Seelsorger sind umgekehrt vor allem aus diesen Räumen von Ehe und Familie zu holen. Und zunächst auch aus den eigenen Reihen, aus dem eigenen Land! Lassen wir doch die indischen Priester zuallererst Indien für Chri­stus gewinnen! Und lassen wir die polnischen Priester ihre Landsleute auf die neue Zeit der Technokratie und des Konsums einstellen! (Meine polnischen und indi­schen Freunde mögen mir diese Bemerkung verzeihen). Ich bin mir in beider Hin­sicht sicher: Schritte aus festen Beziehungen und menschlichen Bindungen heraus bringen neues Leben in den kirchlichen Dienst und neue Nähe zu den Menschen. Und Schritte in feste Beziehungen hinein sind Schritte auf ein Geschenk Gottes und auf eine große Begabung hin – und werden natürlich auch zu Schritten auf eine größere Herausforderung, aber auch auf eine größere Fülle hin. Die Gottes- und Menschendiener müssen der Schöpfung begegnen, wie sie ist. Sie dürfen sie „um Gottes willen“ nicht vermeiden. Sie müssen hinein in unausweichliche Verantwort­lichkeiten. Sonst wird die Güte der Schöpfung zu einer Leerformel, zu einer unver­bindlichen Liebenswürdigkeit. Künftige Seelsorger sind dort anzusiedeln, wo die Menschen leben, damit sie dort das Leben von Christus her interpretieren. Selbst-verständlich muss man sie gut ausbilden, damit sie etwa im Paar-Raum den Ernst­fall der Gottes- und Nächstenliebe bzw. im Kirchen-Raum die zu erwartende Feuerprobe bestehen. Man darf ja auch nicht naiv die Stühle wechseln oder jeden auf jeden Stuhl setzen.                                   

Karl Rahner beschrieb einst in einem Aufsatz mit dem Thema „Die heidnischen Christen und die christlichen Heiden“ einen Typ von Menschen, „denen…das Licht verdeckt ist durch den Schatten, den wir werfen“ (3). Mit den Schatten­werfern sind zunächst alle Christen gemeint. Trotzdem ist ein Schielen auf die Kirchenoberen erlaubt, denen zu wünschen ist, dass auch sie vorbildhaft aus ihren Schatten und Ängsten heraustreten, ihre vorprogrammierten Selbstfesselungen überwinden und in zielführender Weise, d.h. im Sinn ihres Inkarnationsauftrages tätig werden. Papst Franziskus nimmt und hält sich diesbezüglich kein Blatt vor den Mund. „Hinaus“ steht schon jetzt über seinem Pontifikat. „Heraus“ aus den vielfachen Selbstfesselungen der Kirche und „Hinaus“ in die Welt der Menschen, besonders „zu den Armen und Bedrängten aller Art“ (4). Hier zeigt er sein wahres Gesicht und fordert dies auch von seinen Mitarbeitern. Risikofreudig scheint dieser “Pionier der angstfreien Kommunikation“ (Alois Glück) uns allen – und vor allem auch den Bischöfen – zuzurufen „Wartet nicht auf mich, bis ich so weit bin, bis ich die Bewertung der Problemkreise abgeschlossen habe. Ihr sitzt mit im Boot“! Ein neues Vertrauen in das gesamte Volk Gottes bahnt sich hier offensichtlich an. So gebe auch ich in Bezug auf mein Thema und über dieses Thema hinaus die Hoff­nung nicht auf, das Licht der Schöpfungs- und Christusbotschaft  könnte über eine einfarbige und zölibatär homogene Gruppe hinaus durch eine mehrfarbige, kernige, frohe, kluge und aktive „Mann“-schaft, noch besser, durch ein buntes ebenso gear­tetes Frauen- und Männerteam in einer nach Licht rufenden Welt zu neuem Glanz kommen. Die Sache, um die es geht, ist vom Kern her in Ordnung. Zu ihrer Verwirklichung braucht es nur Geist und Mut und neuen Schwung!

Anmerkungen

1 Karl Rahner – Herbert Vorgrimmler, Kleines Konzilskompendium, Freiburg im Breisgau 1966, 449

2 Tomás Halík, Die Nacktheit der Christen,  in Publik-Forum 10/2012, 31-32

3 Karl Rahner, Glaube, der die Erde liebt, Freiburg im Breisgau 1966, 104  

4 Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben  „Evangelii Gaudium“, veröffentlicht am 24.11.2013, siehe Internet!