Statements
Fokus Israel – Wiedergutmachung
Wiedergutmachung ist ein verführerisches Wort. Auch wenn es das Wort gibt: Nach den Gräueltaten der Nazi-Zeit wird die Welt niemals mehr wie früher. Darum setze ich auch die „Wiedergutmachung“ an den Juden für die NS-Verbrechen in Anführungszeichen. Gut, dass aber zwei Dinge geschehen sind: Die deutsche Politik der Nachkriegszeit hat eindeutig und ohne Wenn und Aber Verantwortung übernommen und sich auch mit den Opfern der Vergangenheit über finanzielle Entschädigungen und Sachleistungen verständigt. Dazu zählen u.a. individuelle Entschädigungen für NS-Opfer, Unterstützung ihrer Interessensvertretungen, Unterstützung des Aufbaus jüdischen Lebens im Nachkriegsdeutschland – und dann vor allem die deutschen Leistungen an den Staat Israel, die Eingliederungskosten der neuen Bürger, der Ausbau der Infrastruktur und Grundindustrie, die politische, wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit bis heute: Sicher: Geld kann nicht gutmachen, was einst geschehen ist: Aber was sich inzwischen getan hat, waren absolut wichtige Schritte für eine mögliche gemeinsame Zukunft von Deutschen und Juden. Ohne diese Schritte und ähnliche Zeichen über Jahrzehnte hinweg könnte ich mir ein neues Miteinander nicht vorstellen.
Eine „Wiedergutmachung“ ist jedoch zu kurz gekommen. Sie tritt aufgrund dramatischer Entwicklungen im Nahen Osten immer mehr ins deutsche und auch ins Weltbewusstsein: Es sind die indirekten Opfer des deutschen Holocaust: Es ist das Opfer der in Palästina ansässigen Araber, hier generell und ungenau als die Palästinenser bezeichnet. Diese haben schon bald nach dem 2. Weltkrieg notgedrungen für sich reklamiert, indirektes und vornehmliches Opfer dessen zu sein, was den Juden in Europa passiert sei. Sie wollten und sollten dafür nicht büßen.
„Wiedergutmachung“ an den Palästinensern – in Israel und vor allem in der Staatsräson Israels ist dies ein Fremdwort. Zu selbstverständlich wird weiter ein unsägliches Unrecht hingenommen.
Es ist inzwischen historischer Konsens: Vor allem um zionistische Ideologie zu befriedigen und Juden eine sichere Heimat zu geben, wurden 700000 Araber vertrieben oder verscheucht, wurden zur Flucht gedrängt, wurde das von der UNO verlangte Rückkehrrecht verweigert, hinausgezögert, zum Erlöschen gebracht, wurden unzählige arabische Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und arabische Geschichte totgetreten, wurden die im Land verbliebenen 170000 Araber Menschen zweiter Klasse, wurde eine Zwei-Staaten-Lösung politisch gezielt vereitelt, dominiert eine religiöse Sekte die Politik, wird ein Land zum Friedhof. „Wiedergutmachung“ wäre ein Lösungswort.
Deutsche Politik will sich in der letzten Zeit wieder bemerkbar machen.
Deutsche Politik soll, wenn auch verspätet, diese indirekte Auswirkung deutscher Vergangenheit thematisieren, die das heutige Israel so angreifbar gemacht hat. Nach dem 2. Weltkrieg ist im Herzen der arabischen Welt Unsägliches passiert. Es ist verstummt, welchen Preis sie bezahlt hat, und was bis heute nicht aufgearbeitet ist. Deutsche Politik soll dies nicht verschweigen.
Deutsche Politik soll Israel auffordern, sich zu dem einst begangenen Unrecht zu bekennen und Verantwortung für Vertreibung, Verscheuchung, Rückkehrverweigerung, Flüchtlingsschicksal der Nachkommen der einstigen Bewohner, Auslöschung der palästinensischen Identität usw. zu übernehmen.
Deutsche Politik soll gegen das Unrecht protestieren, das heute im Westjordanland und in Gaza geschieht.
Deutsche Politik, die sich zurecht von der Geschichtsverfälschung der AFD absetzt und deren Regierungsbeteiligung ausschließt, soll eine Politik Israels angreifen, die sich in einem weitaus erschreckenderem Maß von den rechtsextremen Religiösen führen lässt.
Deutsche Politik soll sich absetzen von einer Politik, die mit mythischen Elementen Politik macht. Gemeint ist die Mythologie der Auserwählung, des Landbesitzes und ein dem Mythos entstammender Gott, der Auserwählung und Landbesitz für ewige Zeiten absegnet.
Deutsche Politik soll auf die Zwei-Staatenlösung drängen, bevor das Westjordanland und der Gazastreifen aufgesogen sind.
Und was ich mir von deutscher Politik noch wünschte, die arabischen Staaten, so schwer es ist, zum Einschwenken in die politische Realität zu bewegen, das Existenzrecht Israels als politische Realität anzunehmen, aber den Anspruch an Israel und seine Unterstützerstaaten auf „Wiedergutmachung“ aufrechtzuerhalten, das auch das Los der Palästinenser in aller Welt berücksichtigt.
Und an die Politiker insgesamt ergeht die Aufforderung: Hört auf, mit Gott Politik zu machen. Bedankt euch nicht bei Gott, wenn ihr mit eueren Raffinessen und euerer Technik Wahlen und Kriege gewinnt. Gott, an den ihr zu glauben meint, er weint schon längst!
Lorenz Zellner