„Fluche Gott – und stirb!“ (Ijob 2,9)
Gedanken zum Heftthema “Bibel als Traumaliteratur“ in BuK 1/2025
„Fluche Gott – und stirb!“
(Ijobs Frau in Ijob 2,9)
Die Zeitschrift zu „Bibel in Forschung und Praxis“ mit dem Titel „Bibel und Kirche“ beschäftigt sich in der Ausgabe 1/2025 mit der Thematik „Bibel als Traumaliteratur“. Es geht dabei den Herausgebern und verschiedenen Fachleuten darum, die Bibel auch einmal aus der Perspektive Trauma, d.h. „mit neuen, traumasensiblen Augen zu lesen“.Mit der „Lesebrille Trauma“ werden in den eingebrachten Artikeln des Heftes konkrete Beispieltexte besehen.
Wahlmöglichkeiten in Bezug auf einschlägige Texte gibt es in der Bibel zur Genüge. Viele biblische Figuren und Geschichten bezeugen traumatisierte und traumatisierende Situationen. Das von den Verantwortlichen ausgegebene Ziel einer Darstellung erlittener zwischenmenschlicher Traumata, wie sie uns auch Texte der Bibel zeigen, ist es, möglicherweise Türöffner für die Verarbeitung eigener erlittener tiefer Verwundungen der Leserinnen zu sein.
So weit, so gut! Darum uneingeschränktes Lob für alle Verfasser, ihre Beiträge als Türöffner für von Menschen erlittene Traumata zu verstehen und therapiebezogen für Betroffene eventuell eine Sprache und eigene Worte für das bisher Unsagbare ihres Lebens bereitzustellen. Ich pflichte darüber hinausgehend einer Autorin der Beiträge, Irmtraud Fischer, auch bei, wenn sie zudem fachbezogen konstatiert: „Biblische Texte auf dem Hintergrund von Trauma und Traumatisierung zu lesen ist ein … Zugang, der in den letzten beiden Jahrzehnten neue Perspektiven eröffnete, um Texte, die von kollektiven Katastrophen und individuellen Notlagen handeln, besser zu verstehen.“
Nach viel Anerkennung muss aber auch der Mangel dieser Ausgabe von „Bibel und Kirche“ klar zur Sprache kommen. Nicht nur Menschen sind Traumafiguren, sind Opfer und Täter, sind traumatisiert und traumatisierend. Und nicht nur von Menschen verbrochene oder erlittene Geschichten sind Traumageschichten und reden von Unsagbarem. Ergänzend muss mit einem Aufschrei hier aber auch zum Ausdruck kommen, was für sensible Seelsorger, Traumapsychologen und Traumatherapeuten längst klare Sache ist: Aus der Traumaperspektive betrachtet ist die biblische Gottesfigur längst als Täterobjekt auf dem Tisch – und nicht nur für mich ein ärgerliches Objekt, ein wahrer „Dorn im Auge“, unzumutbar, im Ganzen unbrauchbar. Was mir im oben genannten Heft von „Bibel und Kirche“ unverzeihlich fehlt, was völlig außer Acht gelassen wird, ist die Thematisierung, die Bearbeitung der vielfältigen Traumatäterfigur Gott, einer heute klar erfassbaren traumatisierten und traumatisierenden Figur. Und es fehlt eine Darstellung traumatisierter und traumatisierender Geschichten mit dem Akteur Gott bzw. die Darstellung von Geschichten, wo das, was Jesus und oft auch gesunder Menschenverstand mit Gott meinen, Opfer traumatisierter und gestörter Menschen geworden ist. Ich weiß: Das Thema, das ich hier anschneide, ist an Brisanz nicht zu überbieten.
Wenn die Bibelwissenschaft die Traumaperspektive bemüht, um aus dieser heraus Texte zu lesen, muss sie sich selbst genauer ins eigene Nest schauen lassen und eigene Bestände, Texte, Figuren nach Zustand und Wirkung abtasten. Das ist mutig und riskant, aber „um Gottes willen“ nötig.
So stelle ich in diesem Beitrag an die Verfasser der einschlägigen Artikel aber auch an das Katholische Bibelwerk meine Fragen, nicht böswillig, sondern selber betroffen, beschädigt, missbraucht, in der Thematik kampferfahren und in hohem Alter immer noch an der Sache und Stellung beziehend. Und ich bitte um eine Antwort, die meinen Fragen, meinen Gedanken, meiner Lebenswirklichkeit und meinem Sachverständnis nicht ausweicht.
Ein Wort zu mir
Ich schäme mich fast, mich den Autorinnen und Autoren der in „Bibel und Kirche 1/2025“ vorliegenden Beiträge wie folgt bekannt zu machen. Aber manchmal kommt man nicht umhin, ein Wort zu sich selber zu sagen, um nicht zu schnell abgewertet als Betroffenheitstheologe im Papierkorb zu verschwinden. Aus letzterer Bemerkung spricht Erfahrung.
Was das vorliegende Thema und meine Kompetenz dafür betrifft, bin ich beileibe kein überdurchschnittlicher Mensch. Ich besitze keinen akademischen Grad. Ich habe und hatte auch nie eine Professur inne. Ich bin aber sicher auch kein geistiges Leichtgewicht. Dazu einige Daten: Kostenfreies Studium mit einem Stipendium der Bayerischen Staatsregierung, Theologiestudium in Regensburg und Innsbruck, Diözesanjugendseelsorger, Mitglied der deutschen Synode 1971-1975, Pfarrer, Spiritual, vor allem über die kirchlichen Hilfswerke international sozial und caritativ eingebunden, 41 Jahre Projektverantwortlicher für „Chilehilfe für junge Christen“, Systemtherapeut, mit Trauma-Logik einigermaßen vertraut, selbst ein vom biblischen bzw. kirchlichen Gotteskonstrukt Schwerbeschädigter, Traumatisierter, aber auch Seelsorger und therapeutischer Begleiter für zahlreiche religiös Traumatisierte, einer, der genau hinzuhören gelernt hat, auf Menschen, auf Bilder, auf Texte, hier vor allem auf religiöse, Autor von fünf einschlägigen Büchern und zahlreiche Artikel zum anliegendem Thema, ohne institutionellen Apparat, inzwischen 86 Jahre alt.
Meine Anliegen und Anfragen
Die Zeitschrift „Bibel und Kirche 1/2025“ bietet eine Unmenge Gesprächsstoff und ausreichend Anlass zu fachlichen Debatten, Ich begrenze mich hier auf eine Anfrage an Frau Dorothè Schleenstein, eine weitere an Frau Irmtraud Fischer und eine dritte an alle an der Gestaltung der Zeitschrift beteiligten Autorinnen und Autoren, Wer wird mir antworten, sich solidarisieren, sich entgegenstellen? Ich würde mich über ein schriftliches Gespräch sehr freuen.
Ein erstes Schreiben geht an Frau Dr. Dorothè Schleenstein:
Sehr geehrte Frau Dr. Schleenstein,
die Aufsätze in „Bibel und Kirche 1/2025“ und vor allem auch Ihr Beitrag haben mein Interesse getroffen. Ich habe mich bereits oben zu den Gründen geäußert. Ijob ist mein Thema. Schon 1994 habe ich mich in meinem Buch „Gottestherapie“ mit der einschlägigen Thematik auseinandergesetzt.
Wenn es um Trauma in der Bibel geht, bin ich sofort und zuallererst bei Ijob.
Ijob hat, wie Sie schreiben, traumatische Erfahrungen mit Gesundheit, Familie, Besitz, Verlust von Sicherheiten, also mit irdischen Wirklichkeiten gemacht. Und erst recht mit der überirdischen Wirklichkeit, wobei sich ein Gott dem Menschen Ijob entzieht, diesen einer Irritation und Gottverlassenheit aussetzt und ein teuflisches Spiel mit ihm treibt.
Menschen, die mit Trauma-Logik vertraut sind, kommen übereinstimmend zu dem Schluss. dass das eigentliche Problem des Buches Ijob Gott bzw. ein Gotteskonstrukt ist. Hanna Wolff hat schon in der „Vor-Trauma-Zeit“ – 1981 – in ihrem Buch „Neuer Wein – Alte Schläuche“ innerhalb des Themas „Gott und der leidende Mensch“ geschrieben: „Das eigentliche Problem … ist nicht Hiob, sondern Gott,“
Dieser Gott ist eine Traumafigur. Was meine ich damit? Ein sonderbares Gottesbild, eine gebrochene Ganzheit, Gott einer, nicht im Einklang mit sich, ungut, sadistische Züge, misstrauisch, leicht verletzlich, Anerkennung heischend, billige Lösungen anbietend usw, Eine gestörte Figur. Diese Störungen müssen gefühlt und gesehen werden.
Nicht nur Traumatherapeuten und professionelle Fachleute, sondern auch traumasensible Menschenhaben hier einen Gott im Fokus, der sein Spiel mit dem Menschen Ijob treibt, eine traumatisierte Gestalt und ein zentraler Traumatisierungsfaktor, C.G. Jung hat die Problematik bereits in seinem bekannten Buch „Antwort auf Hiob“ zur Sprache gebracht und in den Raum gestellt. Ich kann Menschen verstehen, die die Reaktion der Frau des Ijob treffend, erlösend und doch wieder lähmend finden: „Fluche Gott – und stirb.“ Für die Aufforderung: „Fluche Gott – und lebe“ war die Zeit noch nicht reif.
Meine Anfrage an Sie, sehr geehrte Frau Dr. Schleenstein, ist diese:
Können wir uns in Bezug auf meine Darlegungen nicht nur persönlich und emotional, sondern vielleicht auch professionell verständigen?
Für eine mögliche Antwort danke ich Ihnen im Voraus und grüße Sie herzlich.
Ein zweites Schreiben geht an Frau Dr. Irmtraud Fischer:
Sehr geehrte Frau Dr. Fischer,
Sie schreiben in Ihrem Beitrag in „Bibel und Kirche 1/2025“ unter der Überschrift „Abschied vom Märchenbuch: Jona als Traumaliteratur gelesen“ folgendes: „Liest man das Buch Jona als Traumaliteratur, … dann gewinnt es neue Gestalt.“ Ein „neues Verständnis Gottes und des Propheten“ soll über Ihren Beitrag ermöglicht werden. Wie sehe nun ich das Buch Jona mit der „Lesebrille Trauma“?
Im Zentrum des Jonabuches steht ein Gott, der Menschen braucht, gebraucht, missbraucht, verfolgt, steht ein Gotteskonstrukt, dem Menschen entfliehen wollen, die von diesem Gott Schreckliches erleiden, steht ein Traumatäter.Sie bezeichnen in Ihrem Beitrag auch diesen Jahwe als erfahrenen Therapeuten – welche Ironie! Wie gerne hätte ich einen anderen Gott vor mir! Einen, der nicht zuallererst braucht!
Wie sehr liebe ich hier den Gott Jesu, der weiß, was wir brauchen (Mt 6,8). Was wir zuerst brauchen, ist eine zuverlässige Zuwendung Gottes zu uns. Nicht Bösartigkeit und Widersprüchlichkeit eines Gotteskonstruktes sind die Grundlagen meines Glaubens.
Ich habe meine eigene irre Berufungsgeschichte (nachlesbar in meinem Buch „Rückrufaktion Apokalyptik“) und kenne aus eigener Arbeit die Dramen vieler „Berufener“ und später lebenslang von Gott Verfolgter, deren Schicksal manchmal bis zum Suicid führte. Nicht jedes spätere Jona-Leben ist so glimpflich wie das des biblischen Jona ausgegangen.
Meine Anfrage an Sie, sehr geehrte Frau Dr. Fischer, lautet: : Könnten Sie sich vorstellen, in einem Treffen oder einem Symposion mit Traumafachleuten das Buch Jona zur Debatte zu stellen? Vielleicht können Sie mir darauf antworten.
Im Falle einer Antwort herzlichen Dank im Voraus und freundliche Grüße
Und ein dritter Brief geht an die weiteren Autorinnen und Autoren:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Gott erscheint in der Bibel vielfach als Trauma-Figur, traumatisiert und traumatisierend. Unzählige Geschichten und Bilder bezeugen seine verletzende Gestalt. Eine gestörte und störende Gottesgestalt tritt bereits in Genesis 3 auf, wo Gott zwei Menschen eine Falle stellt und sie reinlegt, und wo er über zwei Menschen das weitere Schicksal der Menschheit bestimmen lässt. Ein gestörter und die Ordnung störender Gott tritt in der Geschichte von Kain und Abel auf. Er schaut auf das Opfer des einen, auf das Opfer des anderen nicht. Auch die Gottesgeschichten um Abraham sind höchst traumagesättigt. Sara soll nach sekundären jüdischen Quellen an den erfahrenen Vorgängen gestorben sein. Dann gibt es das Bild eines Gottes, der ein Volk bevorzugt, und mit dieser Bevorzugung und einer angemaßten Landzuweisung nicht mehr einzuholenden ewigen Unfrieden produziert, ein Vorgang, eine Inszenierung, die bis heute politologisch gesehen die Weltgeschichte traumatisiert und erschüttert. Dann ein Gott, der Israel errettet und die Ägypter ersaufen lässt – wobei selbst die jüdische Ironie einen anderen Gott den naiven Engeln im Himmel sagen lässt: „Wie könnt ihr singen, da meine Kinder im Meer ertrunken sind.“ Und der Höhepunkt der Gottesproblematik: Ein Gott, der seinen geliebten Sohn opfert!
Die seelsorgerische Wirklichkeit bezeugt: Mit einer solchen Trauma-Figur kommt man nur noch in einem geistigen Ghetto durch. In einer offenen und aufgeklärten Gesellschaft ist damit nicht mehr zu punkten. Als Seelsorger spürt man dauernd den Satz von Else Lasker-Schüler: „Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wäre.“ Ich habe die ganze Zeit meines Lebens dafür gekämpft, „das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten“, und natürlich auch dafür, bei den vielen biblischen Fehleinschätzungen in Bezug auf Gott, die Welt und die Menschen nicht auch alle Schätze der Bibel auszuschütten, vor allem nicht den Schatz, den Jesus darstellt. Leider blieb der Erfolg bescheiden.
Falls Sie mir schreiben: Besten Dank im Voraus und freundliche Grüße